Landebahn

Wie geht Frieden?

Zukunftswerkstatt Tempelhof 2022
Annäherung an ein urmenschliches Bedürfnis


TamieH gestaltet den Samstagnachmittag und Abend

Markus Stettner-Ruff bereitete als Referent den Samstagnachmittag und -abend der Zukunftswerkstatt vor. Dabei stellte er anhand seiner eigenen Biografie als Pazifist und totaler Kriegsdienstverweigerer, vor allem aber am Beispiel von TamieH dar, welche konkreten Möglichkeiten wir im Jetzt und Heute haben zu versuchen Frieden im Alltag zu leben.

Als Gäste hatte er Mehrnaz Zäher und ihre kleine Schwester mitgebracht, die mit ihrer Familie aus Afghanistan geflohen sind und in Crailsheim Asyl gefunden haben. Bei unseren Sommeraktionen 2022 haben wir die beiden kennengelernt und später ihre Eltern. Ihr Vater ist internationaler Journalist und war Abgeordneter des afghanischen Parlaments. Beide waren auf unserer Zukunftsklausur im Sommer 2022 dabei und beim FliegerhorstSommer, wo ihre Familie einen Essensstand gestaltete und Mehrnaz im Dreier-Team der Moderator*innen mit dabei war.

Rede von Mehrnaz Zäher   (Im Alter von 13 Jahren gehalten)

Hallo an alle Anwesenden !

Wie ihr gehört habt, heiße ich Mehrnaz. Ich komme aus Afghanistan und ich lebe seit 7 Monaten mit meiner Familie in Deutschland.

Wir werden über den Frieden sprechen, der für mich, die ich den bitteren Geschmack des Krieges gekostet habe, sehr wichtig ist.

Frieden in einem Land bringt Wohlstand, fortschritt und eine bessere Wirtschaft und es bewirkt das entstehen und aufblühen von Talenten.

Seine Abwesenheit verursacht Instabilität, Mangel an Wohlstand, Armut, schwache Wirtschaft, Rückständigkeit und Analphabetismus und sicherlich in einem Land, in dem es ein unerreichbarer Traum ist, gut zu leben, Talente und Bestrebungen werden zerstört.

Die Abwesenheit von Frieden und die Existenz von Frieden sind einflussreich und auch wichtig für die Welt.

Beispielsweise sind Taliban nicht nur ein Problem und Bedrohung für Afghanistan, sondern eine Bedrohung für die ganze Welt.

Da Russland 🇷🇺 und die Ukraine 🇺🇦 in einen krieg verwickelt sind, hat diese alle Länder der Welt irgendeiner weise negativ beeinflusst.

Wir haben auch der Einmarsch der ehemaligen Sowjetischen Roten Armee in meinem, Land Afghanistan 🇦🇫 erlebt, und seit dem hat die geschichte unseres Landes keinen Frieden gesehen, weil die Welt hat uns im stich gelassen hat.

Auch der fall der Berliner Mauer und die Vereinigung Deutschlands von Ost und West haben ihre Wurzeln in der Niederlage der Sowjetischenen Roten Armee in Afghanistan 🇦🇫 das heißt die Welt ist verbunden.

Zum Beispiel die Erhöhung der Lebensmittelpreise in Deutschen Super-Märkten, sowie steigende Kraftstoffpreise.

Mit zwei Versen von Maulana Jalaluddin Mohamed Balchi-Rumi - der sagt :

تو مگو همه به جنگند و ز صلح من چه آید
تو یکی نه ای تو هزاری تو چراغ خود برافروز ***

DER ins deutsche übersetzt ist:

„Sag nicht, dass alle miteinander Krieg führen und nutze mir meinen Frieden mit anderen.
Wenn du Frieden willst, wirst du nicht allein sein, vielmehr werden sie sich ihnen anschließen.
schalte deine Frieden Lampe ein.“

Konzert mit Liliana Todorova und Saad Barakat

Für den musikalischen Teil der kulturellen Abendveranstaltung, die TamieH gestaltete, hatte

Markus Liliana Todorova und Saad Barakat eingeladen. Liliana, die mit ihrem Sohn aus Kiew nach Crailsheim geflüchtet ist und dort als Musiklehrerin arbeitete sang, wie schon beim FliegerhorstSommer, ukrainischen Liedern. Saad Barakat war mit seiner Frau gekommen, da an diesem Tag ihr 21. Hochzeitstag war. Sie leben mit ihrer Familie seit mehreren Jahren in Kirchberg / Jagst und sind aus Aleppo in Syrien geflüchtet. Er beglückte die Zuhörer*innen mit arabischen Liedern und seiner Musik auf der Oud. Bei allen drei FliegerhorstSommern war er als Musiker dabei.

Markus rezitierte zwischen den Musikstücken verschiedene Texte und Gedichte zum Thema Frieden und Heimat.

Einladungstext zur Veranstaltung

Der Krieg in der Ukraine in nächster Nähe und die gesellschaftlichen Umbrüche im wirtschaftlichen und sozialen Bereich berühren uns alle und stellen viele geglaubte Sicherheiten und Zukunftshoffnungen in Frage.

Sie berühren auch frühere Erfahrungen in unseren Familien auf vielen Ebenen und fordern uns heraus in Empathie zu bleiben.

Aus diesem Anlass möchten wir in diesem Jahr die Zukunftswerkstatt Tempelhof dem Friedensthema widmen:

Frieden in mir, Frieden zwischen uns, und Frieden in der Welt.

    Fragestellungen, die wir gemeinsam bewegen wollen:
  • Was in mir braucht noch Frieden? Den inneren Frieden pflegen, der eigenen Negativität begegnen, sie zu mir zu nehmen und sie zu transformieren.
  • Was kann ich in meiner unmittelbaren Umgebung, in meinen Beziehungen beitragen, um authentisch und konfliktfreudig präsent zu sein für ein wohlwollendes Miteinander?
  • Was sind kluge, emphatische Ansätze für einen Frieden zwischen den Völkern?
  • Wie verarbeiten wir Ängste, Desillusionierungen und Verzweiflung ohne in Trennung zu gehen?
  • Wie stärken wir Vertrauen und Mitgefühl, um das Friedensfeld zu erweitern und zu stärken?

In Impulsvorträgen, Workshops, Open spaces werden wir uns dem Frieden in uns, in unseren Beziehungen und zwischen den Völkern widmen; Visionen über Story Telling in die Wirklichkeit bringen; Friedenslieder teilen; Stille und Meditation erfahren.

Gemeinsam werden wir neuen Mut schöpfen und Kraft tanken, um uns am vorderen Rand unserer Friedensfähigkeit wiederzufinden.

Die Impulsgeber sind alle schon lange auf sehr unterschiedliche Weise mit diesen Fragen unterwegs und wir freuen uns sehr auf ihr Wissen, lebendige Erfahrungen und Inspirationen.

Der erste Friede
Der erste Friede, der wichtigste, ist der, welcher in die Seele des Menschen einzieht;
wenn die Menschen ihre Verwandtschaft, ihre Harmonie mit dem Universum einsehen und wissen,
dass im Mittelpunkt der Welt das große Geheimnis wohnt.
Und dass diese Mitte tatsächlich überall ist; sie ist in jedem von uns.
Dies ist der wirkliche Friede.
Alle anderen sind lediglich Spiegelungen davon.
Der zweite Friede ist der, welcher zwischen einzelnen geschlossen wird.
Und der dritte ist der zwischen Völkern.
Doch vor allem sollt ihr sehen, dass es nie Frieden zwischen Völkern geben kann, wenn nicht der erste Friede vorhanden ist, welcher innerhalb der Seele wohnt.

Gedicht der Navajo Indianer

Referent*innen der Veranstaltung

Agnes Schuster

Jg. 1954, Dipl. Sozialpädagogin, Mitinitiatorin der Gemeinschaft Tempelhof, lebt seit 40 Jahren in Gemeinschaft. Gemeinschaftsvernetzung, Mehr Generationen Leben, Jugend- und altersgerechte Lebensräume, Begleitung von Wir-Prozessen.

Adelheid Tlach-Eickhoff

Adelheid Tlach-Eickhoff lebt in der Gemeinschaft Sulzbrunn, Mutter und Großmutter, Pädagogin, Mitgründerin und Aufbau einer freien Schule, Entwicklung und Begleitung des Programms „project peace“ für junge Erwachsene mit dem großen Anliegen, inneren und äußeren Frieden zu erforschen und aktiv zu Frieden beizutragen.

Dolores Richter

geb 2.4.1959, verheiratet, ein Sohn. Autorin, Moderatorin, Trainerin & Coach, Friedensforscherin. Dolores Richter engagiert sich seit über 30 Jahren in Zusammenarbeit mit dem ZEGG (eine Lebensgemeinschaft von 100 Menschen zwischen Berlin und Leipzig), Tamera und anderen Gemeinschaftsprojekten für eine neue Lebenskultur: wir bauen kraftvolle, empathische, kreative und gemeinschaftliche Lebensweisen, die uns Menschen in unserem Wesenskern stärken und die dem Leben dienen.

Markus Stettner-Ruff

Kulturschaffender / Pazifistischer Anarchist und Totaler Kriegsdienstverweigerer. Projektentwickler für TamieH - ZukunftsWerk Fliegerhorst Crailsheim. Ehemaliger Oberstufenlehrer und Geschäftsführer der Freien Waldorfschulen Crailsheim und Schw. Hall. Dozent am Rudolf Steiner Institut Kassel / Geschäftsführer Soziokulturelles Zentrum Bilderhaus Gschwend und Studienstätte Quellhof. www.zukunftswerk-fliegerhorst.de

Prof. Wolfgang Dietrich

Historiker, Jurist, Politologe, Friedensforscher. Emeritierter Gründungsdirektor (2001) des Master-Lehrgangs für Frieden, Entwicklung, Sicherheit und Internationale Konflikttransformation und UNESCO Chairholder für Friedensforschung an der Universität Innsbruck. www.uibk.ac.at/peacestudies/dietrich

40 Jahre Berufserfahrung in der akademischen und angewandten Friedensarbeit auf allen Kontinenten.

Persönliche Eindrücke von der Veranstaltung: Wie geht Frieden?

Der Krieg in der Ukraine in nächster Nähe und die gesellschaftlichen Umbrüche berühren uns alle und stellen viele geglaubte Sicherheiten und Zukunftshoffnungen in Frage. Sie berühren auch frühere Erfahrungen in unseren Familien und fordern uns heraus, in Empathie zu bleiben. Doch wie gelingt Frieden in mir, Frieden zwischen uns, und Frieden in der Welt?

Die Zukunftswerkstatt am Tempelhof widmete sich diesen Herbst dem Friedensthema und bewegte Fragen, die diese drei Ebenen betreffen:

  • Was in mir braucht noch Frieden? Den inneren Frieden pflegen, der eigenen Negativität zu begegnen, sie zu mir zu nehmen und sie zu transformieren.
  • Was kann ich in meiner unmittelbaren Umgebung, in meinen Beziehungen beitragen, um authentisch und konfliktfreudig präsent zu sein für ein wohlwollendes Miteinander?
  • Was sind kluge, emphatische Ansätze für einen Frieden zwischen den Völkern?
  • Wie verarbeiten wir Ängste, Desillusionierungen und Verzweiflung, ohne in Trennung zu gehen?
  • Wie stärken wir Vertrauen und Mitgefühl, um das Friedensfeld zu erweitern und zu stärken?

Einen persönlichen Einblick gibt Fred Zimmermann:

Wirklich sehr bereichernd und sich gegenseitig befruchtend waren die Impulse von den verschiedenen Referenten oder besser Impulsgebern*innen, die eingeladen waren. Ein Friedensforscher, Prof. Wolfgang Dietrich, der seit 40 Jahren an diesem Thema forscht, machte deutlich, wie sehr doch der Unfriede schon in unseren europäischen Sprachen hinein programmiert ist und wie indigene Völker damit beschenkt sind, da bestimmte Begriffe, die unweigerlich zu Trennung, Konfrontation und Streit führen, in ihrer Sprache gar nicht vorhanden sind. Dadurch wurde deutlich, dass allein schon das Gefangen-Sein in unserer Sprache und damit in unserem Denken, es uns trotz aller Sehnsucht nach Frieden nicht gerade leicht macht, diesen in uns selber zu finden und damit auch im außen zu ermöglichen.

Als ein Mensch mit 40 Jahren Gemeinschaftserfahrung und als eine Person, die sich seit dem mit dieser Frage auseinandersetzt und daran forscht, konnte Dolores Richter natürlich auf unglaublich kompetente Weise verdeutlichen, wie sehr doch Unfriede in erster Linie daher rührt, dass in mir selber kein Friede ist und wie sehr das mit dem Unfrieden im Außen zu tun hat, bzw. wie sich mein innerer Unfriede auf das Außen überträgt bzw. sich dort spiegelt. Und wieviel Mut es braucht, in diesen Spiegel zu schauen und nicht zurückzuweichen, sondern hindurch zu Schreiten zum „Frieden“.

Wie geht es, dass der innere Friede als nächstes dann im außen sichtbar wird, durften wir erleben, als der Pazifist (lat.: friedliebend – Frieden bringend – Frieden stiftend) und Pädagoge Markus Stettner-Ruff uns das Projekt „Tamie-H“, was von hinten gelesen Heimat bedeutet, vorstellte und nahe brachte. Ein ehemaliger Militärflugplatz in Crailsheim aus dem 2. Weltkrieg wurde in einen Ort des Friedens verwandelt, einen Ort, an dem Flüchtlinge wieder hineingenommen werden in die Menschenfamilie. Eine Hand wird gereicht, um neues Leben zu ermöglichen. Es wird zusammen gearbeitet, getanzt, gesungen, gelacht und sich gegenseitig unterstützt.

Zum Schluss wurden wir mit wunderbarer Livemusik aus Syrien und der Ukraine beschenkt.

Danke Agnes, dass du diese Tage hier am Tempelhof ins Leben gerufen hast.

Danke Markus, Dolores und Wolfgang für eure so wertvollen Impulse. Danke an jeden einzelnen in der Gruppe und Danke, dass ich dabei sein durfte.

In mutiger vertrauensvoller Begegnung entstand Verbindung und so wurde Wärme und Friede spürbar und auch in unseren Gesichtern sichtbar.

(Fred Zimmermann)

Ein Gedicht der Navajo Indianer:

Der erste Friede

Der erste Friede, der wichtigste, ist der, welcher in die Seele des Menschen einzieht;
wenn die Menschen ihre Verwandtschaft, ihre Harmonie mit dem Universum einsehen und wissen,
dass im Mittelpunkt der Welt das große Geheimnis wohnt.
Und dass diese Mitte tatsächlich überall ist; sie ist in jedem von uns.
Dies ist der wirkliche Friede.
Alle anderen sind lediglich Spiegelungen davon.
Der zweite Friede ist der, welcher zwischen einzelnen geschlossen wird.
Und der dritte ist der zwischen Völkern.
Doch vor allem sollt ihr sehen, dass es nie Frieden zwischen Völkern geben kann, wenn nicht der erste Friede vorhanden ist, welcher innerhalb der Seele wohnt.

Artikel von Fred Zimmerman aus: TempelhofNews Frühling 2023